Effektive Probenmethoden oder Trott

21.03.2025 21:42 (zuletzt bearbeitet: 21.03.2025 21:45)
avatar  Holdi
#1 Effektive Probenmethoden oder Trott
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Ich würde mich über Erfahrungen freuen zu folgendem Sachverhalt.
Ein kirchlicher Laienchor, von den sängerischen Leistungen heterogen besetzt, dessen Leitung erst vor Kurzem übernommen wurde, es bestehen einige Jahre Erfahrung in diesem Metier und eine Hochschulausbildung.
Gerade bei homophonen Sätzen einfacherer Faktur spart es oft kostbare Probenzeit, mit dem Klavier den ganzen Satz zu spielen und die Stimmen nacheinander dazu zu nehmen. Evtl. zu einer tieferen Stimme eine höhere im zweiten Durchlauf dazuzunehmen (statt wieder nur einzeln zu singen). Gerne auch durchpulst geprobt, also Runde für Runde ohne mit dem Klavier abzusetzen mit Varianten auf Zuruf. Viele Sänger nehmen das auch gerne an, weil sie die Zeit lieber für Detailarbeit investieren.

Auch wenn Stimmen, wie es dann doch meist notwendig ist, explizit einzeln geprobt werden und ein Großteil der Sänger die Töne hörbar kann, scheint es sinnvoll erstmal weiterzugehen.

Inwieweit, kann man von den einzelnen Sängern einer Stimme, die es dann noch nicht sicher können und (teilweise) nicht singen und somit nicht mit falschen Tönen stören (oder aus Unsicherheit noch extrem leise singen, für den Chorleiter kaum hörbar), erwarten, dass sie versuchen sich an ihre Kollegen noch ranzuhängen und es sich dort abzuhören? Natürlich mit der Option, dass noch mal in die Einzelstimme geschaut wird, wenn das auf Dauer nicht klappen sollte.

Hier habe ich die Erfahrung über einige Jahre gemacht, dass auch Laienchorsänger darin sehr wohl selbständiger werden können, wenn man es fordert/zulässt. Leider gibt es von Einzelnen dann phasenweise störende Beschwerden mit negativem Tonfall während der Probe, weil vehement zu wiederholten Mal nochmal eine Einzelstimme gefordert wird.
Ich möchte aber ungern in jenen Modus verfallen, in dem ich jede Einzelstimme erstmal 10 Mal wie ein Papagei probe (was darauffolgende Woche eh aufgefrischt werden muss), nur damit der Letzte es auf dem Silbertablett hat und zufrieden ist, während ein Großteil das so nicht braucht.

Das letzte gottesdienstliche Singen, war wegen unvorhergesehen schlechtem Probenbesuch (v.a. wegen Krankheit) nun mit „heißer Nadel" gestrickt, sicher keine Höchstleistung aber definitiv nicht peinlich (das Gesangsprogramm war überschaubar und der Gottesdienst auch nicht "groß").
Die Hauptbeschwerdeführer sehen sich dadurch vermeintlich im Recht, trotzdem vertrete ich klar den Standpunkt, dass es eine vertane Chance wäre, keine anderen Methoden wenigstens zeitweise zu versuchen , als stur Einzelstimme für Einzelstimme zuerst ggf. zehn Mal (eine genannte Anzahl!) durchzugehen, ehe man ins gemeinsame Singen kommt und das selbst bei harmonisch eingängigen homophonen Stücken.
Leider verdirbt sowas die Stimmung, obwohl viele doch bereit sind in diese Richtung weiter zu probieren, auch weil das exzessive Einzelstimmenwiederholen für sie z.T. nicht nötig ist, sondern eher Quell der Langeweile.
Bei der Fülle des Programms zu den Feiertagen scheint es im Sinne des gesamten Chores und des Ergebnisses manchmal auch sinnvoller, dass einer musikalischen Gestaltung und Probe daran der Vorzug gegeben wird und man ein paar falsche Töne aus gewissen Ecken (meist eher nicht laut) dann in Kauf nimmt, als dass man in der knappen Probenzeit nur Einzelstimmen wiederholt bis der Letzte glücklich ist, weil er endlich (vermeintlich) alle Töne hat, dann aber alles einschläfernd langweilig und gestaltlos gesungen wird (und vielleicht trotzdem wieder mit einigen falschen Tönen). Auch das nehmen ein paar wenige sehr übel.

Als ein traditioneller jährlicher nicht sehr wichtiger Singtermin gestrichen wurde, um eben Stress aus den Proben zu nehmen, hat es jenen Leuten auch nicht gepasst.

Als Chorsänger selbst war es mir immer fremd einem Chorleiter so in die Parade zu fahren, auch wenn ich teilweise nicht einverstanden war und einige Dinge beim Proben definitiv nicht optimal waren. Den optimalen Chorleiter, der auf jeden einzelnen Sänger und Ton sofort reagiert, gibt es sowieso nicht, erst Recht nicht Laienchorbereich, wo man Leistung nicht voraussetzen oder im Höchstmaß einfach so einfordern kann. Das scheinen manche ewig unzufriedenen Chorsänger sowieso zu vergessen... Oder gibt es ihn doch?

Störende sich ständig beschwerende Sänger des Chores zu verweisen ist aus verschiedenen Gründen erstmal keine anzustrebende Lösung...


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24.03.2025 09:29
#2 RE: Effektive Probenmethoden oder Trott
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Lieber Holdi,
es tut mir leid, dass du da von Sängern angegangen wurdest!
Vielleicht nur ein kleiner Lichtblick ist, dass ihnen der Chor genauso wichtig ist wie dir, ihnen aber der Überblick fehlt.
Aber sie haben Angst. Angst vor Gesichtsverlust und Angst vor dem nächsten Auftritt.
Noch schlimmer: sie haben kein Vertrauen in dich.
Das ist ziemlicher Mist.

Meiner Erfahrung nach kommst du da nur raus, indem du auf diese Ängste eingehst.
Aber das muss sich dann nicht wie eine Niederlage anfühlen.
So wie du deine Probenmethode beschreibst musst du meiner Ansicht nach nur eine Sache ändern (und ich meine primär nicht die Klaviernutzung, auch wenn ich ein absoluter Verfechter der a cappella-Probenarbeit bin – auch in meinem Kirchenchor!).

Alle heterogenen Chöre haben das Problem das du beschreibst: einige sitzen rum – andere sind überfordert.
Ich löse das durch ein sehr kleinteiliges und retrosequenzielles Proben.
Über beides schreibe ich ausgiebig im Buch und die Podcastfolgen sind ja auch raus, deshalb gehe ich da nicht in großen Längen ein.
In Kürze:
Kleinteilig heißt tatsächlich 3-4 Takte. Jede Stimme einzeln und in Verbindung mit anderen.
So wird das Gehirn von schlechteren Sängern nicht überfordert und bessere Sänger sitzen nicht so lange rum, weil sie und ihre Stimme (also z.B. Sopran) immer wieder dran sind und etwas zu tun haben.
Retrosequenziell, weil man immer wieder in etwas Bekanntes hineinprobt (wirklich! Es ist DIE Methode!)
Beides muss durch eine Probendisposition vorbereitet werden. Bei kurzen Stücken schreibe ich mir einfach rein, an welchen Stellen welche Reihenfolge von Sängern drankommt.

Meine Chöre bekommen alle (und nutzen es auch!!) Übe-Klang-Dateien aus dem Notenschreibprogramm - nicht eingesungen – so bekommen sie zu Hause einen Eindruck vom Stück und können es auch üben.
Und wie häufig wurde mir gesagt: „Mein Chor nutzt sowas nicht“... Sogar mein Kirchenchor nutzt das.
Und wenn in jeder Stimme drei Sänger sind, die es nutzen, rutschen sie in ihrer Sängerkategorie (Artikel dazu Buch oder Podcast) nach oben und man kann sie strategisch setzen.

Das Ganze würde ich soweit es geht ohne Klavier machen – evtl. nur zum Töne geben.
Schlicht, weil deine Sänger sich an das Klavier hängen und, wenn es dann später fehlt, kein Fundament mehr haben.
Ich kann dir in jedem Konzert eines Laienchores, den ich nicht kenne, sagen, ob der mit Klavier beprobt wurde, oder nicht.
Der Unterschied ist frappierend, wenn man einmal sein Ohr dafür geöffnet hat.
(Aber natürlich plädiere ich nun nicht dafür, dass man einem Chor einfach das Klavier wegnehmen sollte – alles was neu und anders ist muss eingeführt werden und braucht Zeit.)

Deine ängstlichen Sänger wirst du nicht zufriedenstellen können, wenn du deine Methode nicht änderst.
Jeder Chor ist anders und wir haben uns an den Chor anzupassen. Wir sind zuerst Dienstleister, Handwerker, Sozialarbeiter und wenn wir ganz viel Glück haben am Ende auch mal Musiker.
Keine zwei Chöre vertragen dieselbe Probenmethode – wir haben natürlich unseren Werkzeugkasten mit Standards drin – aber wenn der eine nicht funktioniert, dann müssen wir einen anderen versuchen.
Du möchtest die leidigen Töne möglichst schnell fertig haben (wer nicht…?) aber du bist scheinbar zu schnell.
Du hast Sorge, dass die „besseren“ Sänger sich langweilen könnten. Das ist sehr gut! Zu viele von uns nehmen immer Rücksicht auf die Kategorie 4 -Sänger und dann gehen die guten.
Diese werden aber gefordert, wenn du kleinteilig arbeitest.
Um auf deinen Beitragstitel zu kommen: so hast du eine effektive Probenmethode, mit viel Einzelstimmensingen ohne Trott.

Versuche das mal und berichte. Ich glaube, dass du damit bis zu den Sommerferien schon bessere Ergebnisse erzielen wirst und vor allem die Sänger, die sich jetzt beschweren 1. merken, dass du etwas geändert hast (das ist keine Niederlage!!!) und 2. sich mitgenommen fühlen.

Wenn du Fragen dazu hast ruf mich gerne an. Kontakt steht auf chorleiter-coaching.de

Viel Erfolg!

PL

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24.03.2025 11:19
avatar  Holdi
#3 RE: Effektive Probenmethoden oder Trott
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Vielen Dank für die wirklich ausführlichen Ratschläge und Erfahrungen, die ich sehr inspirierend finde und mir auch wirklich zu Herzen nehme.

Die von dir beschriebene Methode ist mir nicht fremd und wird auch immer wieder angestrebt. Zum Klavier darf ich bemerken, dass ich natürlich nicht einfach colla parte mitklopfe, sondern es schnellstmöglich verlasse, weil es eben nicht sehr viel mehr kann, als die (ungefähre) Tonhöhe mitzuteilen, bzw. noch gelegentlich harmonisch zu stützen. Zur Zeit geht es aber auch deswegen nicht ganz ohne, da ich auf Grund stimmlicher Probleme (voraussichtlich wird das aber wieder, kein Grund zur Sorge) außerhalb eines eingeschränkten Ambitus die Töne oft gar nicht darstellen kann. Vorsingen ist dann nicht, ich muss die Töne am Klavier darstellen. Der Chor ist es aber auch jahrelang gewöhnt und kalter Entzug bringt nur Missmut.
Tatsächlich hat sich aber noch etwas ergeben, da ich mehrere Gespräche geführt habe.
Die Beschwerdeführer sind offensichtlich in der absoluten Minderheit, fühlen sich aber fälschlicherweise als Sprachrohr einer bisher schweigenden Mehrheit. Der besagte Auftritt wurde ungefragt u.a. von einer anwesenden (Laien-)Musikerin, die den Chor viele Jahre kennt, positiv hervorgehoben. Der Chor hätte da in kürzester Zeit a capella etwas einstudiert und dargeboten, was unter der alten Chorleitung (die insgesamt hervorragende Arbeit geleistet hat) nicht abverlangt wurde. Nicht, weil nicht gewünscht, sondern weil es nicht zugetraut wurde. Gelobt wurden ausdrücklich der Chorklang und die Tonstabilität (hier ist mir ja offensichtlich hörbar eine Verbesserung gelungen!) Dieses kleine "Wagnis" außerhalb der bisherigen Komfortzone des Chores wurde auch als positives Zeichen verstanden, dass ich wirklich "Lust" auf die Arbeit mit dem Chor hätte. Viele Chormitglieder sahen das bei der letzten Gesprächsrunde nun offensichtlich auch so.
Wiewohl ich natürlich weiterhin Suchender bei der Probenmethodik bleibe und deine Ratschläge gerne mitnehme, stellt sich eben die Frage, wie ich vermitteln kann, dass sie die positiven Erfolge, die von Zuhörern explizit erwähnt wurden, sehen müssen. Ich habe auch versucht zu erklären, dass es nicht zulässig ist, von dem Gefühl einzelner Sänger und ihrem Hörerlebnis inmitten des Chores stehend, darauf zu schließen, wie der Chor insgesamt von außen klingt. Diese Kompetenz wird sich nämlich leider angemaßt. Es sind eben, wie sich nun rausstellt, ganz wenige Einzelne, die sich da gerade völlig sperren. Da muss ich eben nun doch die Grenzen aufzeigen und klären, wer die Chorleitung innehat und auch, dass eine mit dem Chor optimal harmonierende Probenmethodik gar nicht in drei oder vier Proben etabliert sein kann und diese Beschwerdekultur (oder besser Unkultur) die ganze Chorgemeinschaft stört und schlimmerenfalls demotiviert. So ein autoritäres Auftreten ist nicht mein Stil, ich überzeuge lieber, statt einzufordern, allerdings hatte ich so eine scharfe unnachgiebige Diskussion nach kürzester Zeit (zum Glück) auch noch nie.
Wie gesagt, ich nehme deine Ratschläge wirklich sehr gerne mit und berichte vielleicht in ein paar Monaten.
Viele Grüße


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26.03.2025 08:05
#4 RE: Effektive Probenmethoden oder Trott
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Lieber Holdi, mir ist beim zweiten Lesen deiner Antwort noch eine Beschreibung gekommen, die dir vielleicht helfen kann.
Du versuchst ein emotionales Problem rational zu klären.
Damit meine ich nicht, dass du (berechtigterweise!) verletzt bist, dass einige deine Arbeit nicht würdigen und auch das Ergebnis. Nach deiner Beschreibung scheinst du ja einiges richtig zu machen, sonst würde sich der Chor nicht verbessern (nicht, dass wir nicht immer neu dazulernen und uns selbst verbessern – täglich).
Du wirst von ein paar „Schreiern“ (Buch/Podcast) durchs Dorf getrieben und die „schweigende Mehrheit“ (Buch/Podcast 😊) schaut vermeintlich zu.

Du wirst aber die Erfahrung machen, dass dein rationaler Ansatz durch Erklären und Beschreiben und natürlich Gespräche keine nachhaltige Verbesserung bringen wird.
Im Chor zählt leider hautsächlich Emotion. Wenn Sänger von sich sagen, dass sie etwas von dir besser oder anders haben wollen (die Schreier) ist das eine s.g. „Intimwährung“ (Buch/Podcast), mit der sie in Vorleistung gehen. Dies wird von den anderen Sängern (schweigende Mehrheit) honoriert, indem eben geschwiegen wird.

Du hast nur zwei Möglichkeiten: schmeiß die Schreier raus.
Gib ihnen ein Ultimatum die Intrigen zu unterlassen.
Als Vorschritt kannst du sie auch bitten dir ein halbes Jahr Zeit zu geben, ob du sie in dieser Zeit nicht überzeugen kannst.
Diese Leute wollen wahrgenommen und ernstgenommen werden (ob berechtigt oder nicht…)

Die andere Möglichkeit ist deine Probenmethode konsequent an die Schreier anzupassen, sodass sie sich emotional mitgenommen fühlen.
Diese zweite Methode klappt nur selten und macht keinen Spaß.

Bleibt nur Methode 1.
Nehme wahr, dass deine schweigende Mehrheit nicht für dich aufstehen wird (schweigend...). Die wird irgendwann genervt gehen.
Also Ultimatum und wenn keine Ruhe herrscht Rausschmiss und dann für die wahre Mehrheit die richtige Probenmethode suchen (das macht wiederum Spaß und ist auch unsere Pflicht).

Dein Fall ist schon recht weit fortgeschritten und extrem unschön. Da helfen nachhaltig leider meistens nur harte Methoden.
Das wäre nun meine Diagnose aus der Ferne.
Widersprich mir gerne, wenn du es nicht so krass siehst, aber nach meiner Erfahrung ist ein so rationaler Ansatz (vor allem die „Beschreibung“ von Erfolgen und eben nicht, dass die Sänger den Erfolg auch wirklich selbst spüren) im Chor keine Möglichkeit einen Blumentopf zu gewinnen.

Ich wünsche dir viel Erfolg!

PL

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