Online Proben

26.11.2021 10:44 (zuletzt bearbeitet: 27.11.2021 11:45)
#1 Online Proben
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Da man nun wieder gezwungen ist online zu proben will ich kurz aufschreiben, wie ich das mache.
Welches System man nutzt ist fast egal, ob Zoom, Webex, Jitsi, Microsoft Teams usw.
Alle haben im Prinzip dieselben Funktionen.
Entscheidend ist, dass einige zeitlich begrenzt sind (kostenlos eine Session also nur z.B. 40 Minuten dauern kann) und andere nicht.
Ich nutze Webex.
Die Proben sind terminiert und ich versende zwei Tage vorher einen Link an die Sänger. Es ist häufig derselbe Link (je nach Programm), aber diese Regelmäßigkeit verhindert nachfragen.
Da nicht jeder technikaffin ist musst du jedes Mal dazuschreiben, dass du zur angegebenen Zeit auch telefonisch erreichbar bist und helfen kannst.
Nehme dir in der ersten Probe auch die Zeit alle Funktionen zu erklären.

Als Setup nutze ich eine Webcam und ein externes Mikrofon, weil die Klangqualität damit deutlich besser ist (USB oder über ein Interface).
Ich schalte außerdem die Rauschunterdrückung aus, weil Musik einen Dynamikumfang hat, mit dem diese nicht umgehen kann und es zu Aussetzern kommt.
Ich nutze Kopfhörer und für zu übertragenden Klang gute Lautsprecher (s.u.).

Ich kann dir nur dringendst empfehlen deine Sänger dazu zu 'zwingen' Kopfhörer zu tragen. Laptop-Lautsprecher sind nicht laut genug.
Wir brauchen (je nach Studie) eine Lautstärke von ca. 80 dB auf Kopfhörern, um den eigenen Gesang zu übertönen.
So laut brauchen wir es nicht, aber damit gesund, und nicht säuselnd mitgesungen wird, muss der Klang der als Referenz dient (also deiner) so laut sein,
dass er selbst bei gesundem Mitsingen des Sängers von diesem noch gut wahrnehmbar ist.
Lautsprecher schaffen das nie! Nutzt Kopfhörer. Wirklich!

Die Probe ist eigentlich keine Probe, sondern ein glorifiziertes Üben mit Klangdateien.
Weil die Internetverbindung und Video-/ Tonverarbeitung Zeit brauchen, kommt der Klang der verschiedenen Chorstimmen bei dir nicht gleichzeitig an -
noch schlimmer: der Klang der Stimmen kommt 1-2 Sekunden später an, als sie bei dem Sänger produziert wurde - er selbst kann deshalb nicht mit den anderen zusammen singen.
Eine Tuttiprobe ist schlicht nicht möglich.
Ich mache deshalb Stimmproben.
Ich erstelle mir von den Noten eine Sibelius-Datei (oder Finale/Capella etc.) und lasse diese während ich bestimmte Stellen (oder das ganze Stück) singe, mitlaufen.
Als Klang habe ich dann einen Chorklang eingestellt, der zumindest ein chorisches 'Grundrauschen' simuliert und die Harmonien wiedergibt.
Dafür habe ich gute Lautsprecher neben dem Mikrofon (in das ich reinsinge) stehen. Es gibt zwar bei manchen der Videoanrufanbieter die Möglichkeit den PC-Klang zu teilen, d.h. der Klang, den ich mit der Datei produziere, wird direkt übertragen - das ist aber nie synchron mit dem, was ich ins Mikrofon reinsinge. Deshalb die Lösung "alles in eins".
Das Lautstärkeverhältnis musst du erfragen (also deine Stimme zum künstlichen Chor).

Aber auch in einer Stimmprobe ist das eigentlich keine Probe, da ich keinen meiner Sänger hören kann. Sie müssen sich alle stummschalten.
Nochmal: der Klang der anderen Sänger kommt bei dem einen Sänger z.T. 2 Sekunden nach meinem Singen an.
Eine Sekunde braucht es, um von mir zu ihnen zu kommen und dann nochmal von ihnen 1 Sekunde, um zu jedem anderen Sänger zu kommen. Das funktioniert nicht.
Und selbst nur zu mir geht das nicht (soweit ich weiß auch nicht technisch), aber leider ist vor allem die 1 Sekunde Zeitversetzung bei jedem unterschiedlich. also bei einem 1 Sekunde, beim anderen 2 Sekunden usw. - es wird immer eine Kakophonie sein.
Es wollen einem nie alle glauben, dass das so ist (da ist der Wunsch nach Chorgesang sehr groß und ich stehe mit meinen unverifizierten Bedenken im Weg...).
Ich lasse am Anfang schlicht alle mal mit geöffneten Mikrofonen mit allen zusammen (also Chor) einfache Viertel klatschen. 1, 2, 3, 4, 1, 2, etc.
Was in einer Probe in einem Raum kein Problem ist, funktioniert hier nicht. Sogar das nicht - wie soll dann Singen klappen? Und schon hast du deine Aussage verifiziert.

Die Sänger singen also nur bei mir mit, ohne dass ich sie höre und damit auch korrigieren oder helfend eingreifen könnte - wenn ich Bach singe, könnten sie also auch "Hoch auf dem gelben Wagen" singen - ich würde es nicht mitbekommen.

Eine Lösung gibt es aber doch: man kann es sehen.
Einerseits sollte man für eine gute Körperhaltung der Sänger sorgen. Allein das hilft schon sehr. Sie dürfen am Tisch nicht übergebeugt über den Noten sitzen, sondern aufrecht.
Da sie dich ja nicht notwendigerweise anschauen müssen (oder es eh nicht tun, weil Noten und so) können sie auch neben sich einen Notenständer stehen haben auf dem die Noten sind und aus denen dann aufrecht und gesund gesungen werden kann.
Sie sollten die Noten nicht halten, da so evtl. die Kamera verdeckt wird und damit der nun folgende Teil unmöglich wird.
Ich habe die Noten auf einer Seite des Bildschirms meines PCs und das Fenster des Videoanrufs auf der anderen Seite. So kann ich meine Sänger beim Singen beobachten.
Das Ganze passiert zeitversetzt (ich bin mit dem Stück fertig und die anderen singen noch - oder wenn man selbst umblättern muss und die anderen machen das dann sehr zeitversetzt ist das schon irritierend...) - aber die Mimik und der Ausdruck deiner Sänger vermittelt Sicherheit oder eben nicht. Du kennst ja meist deine Pappenheimer, die immer noch eine Wiederholung mehr in der Probe brauchen. Diese tust du dir präsent in dein Blickfeld.
Durch die Zeitversetzung siehst du natürlich nicht, ob die Personen mit dir (und auch untereinander!!) synchron singen, und ob sie sicher sind.
Es gibt aber ein klares Indiz: wenn sie ihren Mund relativ weniger, als bei Stellen, die sie gut können, geöffnet haben.
Wie in der Probe, wo man immer mal wieder auffordern muss die Münder zu öffnen und gesund und kräftig zu singen, obwohl noch nicht alle Töne sicher sind, ist das hier genauso.
Sind Sänger unsicher werden sie den Mund schließen.
Das ist dein Moment eine Stelle zu wiederholen.

Bevor du in die Probe einsteigst schadet ein kleines Einsingen nicht (auch dir!) - und du solltest zusätzlich Raum zum 'Schwatzen' lassen.

Letztes Jahr habe ich einen Notenlesekurs angeboten.
Ich habe ganz vorne mit Notenwerten usw. angefangen und jede Stunde mit einem Notendiktat beendet. D.h. d'-Viertel; C-Halbe; drei Triolenachtel: c'd'e'; usw.
Das war ein sehr nachhaltiges Instrument.
Hast du dazu Fragen, bzw. brauchst Material, schreibe mir eine Nachricht.

Zusammengefasst:
Online proben ist mit Videoanruf nur als Stimmprobe mit Übeklangdatei möglich - also ein glorifiziertes häusliches Üben oder um einen Kurs in z.B. Notenlesen anzubieten.
Du kannst niemanden hören. Die Sänger dürfen (beim Singen) niemanden außer dir hören.
Nutze Übeklangdateien oder eine Datei aus einem Notenschreibprogramm, um eine Chorklang zu simulieren und singe dort selbst die zu probende Stimme mit. Spiele diese über Lautsprecher ab.
Nutze ein externes Mikrofon und jeder Sänger sollte einen Kopfhörer nutzen.
Achte auf die Körpersprache deiner Sänger - sie ist dein einziges Indiz für guten/schlechten Gesang.

Viel Spaß damit, auf dass es nie wieder notwendig wird.

PL

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